Jeder von uns erlebt die Corona-Krise anders. Mit anderen Auswirkungen auf den beruflichen, ehrenamtlichen oder privaten Alltag.
Seit Corona gehört das Lesen der „Gedanken zum Tag“ zu meinen kleinen alltäglichen Ritualen. Im Unterschied zur Tageszeitung, die ich oftmals nur hastig überfliege, nehme ich jeden Impuls bewusst auf und lasse mich auf seine(n) jeweilige(n) Autoren/-in ein. Ich erlebe dies Tag für Tag als anregend und bereichernd. Bereichernd durch die Vielfalt der Impulsinhalte. Bereichernd durch die Bandbreite der Autoren. Bereichernd durch die erlaubten Einblicke in persönliche Gedanken und Sorgen.
Mich haben die hier geschilderten Beispiele von selbstloser Hilfe und Solidarität ebenso angerührt wie geäußerte existenzielle Sorgen, zwischenmenschliche Einschränkungen und Probleme in den unterschiedlichsten Lebensbereichen sowie erlittene persönliche Verluste. Meine eigenen Krisenerfahrungen decken ein ebenso breites Spektrum ab und wären sicher geeignet, gleich mehrere „Gedanken zum Tag“ damit zu gestalten. Es gibt viele positive, wertvolle Erfahrungen, aber auch mindestens ebenso viele, auf die ich gerne verzichtet hätte. Die wohltuende Solidarität eines Vermieters, der einer vorübergehenden Mietsenkung zustimmte, mehrere an Corona erkrankte Mitarbeiter, die für jeweils 14 Tage in Quarantäne mussten, die eigene 87jährige asthmakranke Mutter, die wir selbst an Ostern und an Muttertag nicht besuchen durften.
Überraschender Weise empfand ich die vorrübergehende Streichung nahezu sämtlicher Termine während des Lockdowns als ein Geschenk. An die Stelle des gewohnten „Hamsterrades“ trat zurückgewonnene zeitliche Souveränität und ein Bewusstwerden der wirklich wichtigen Dinge im Leben. Nun, da Politik und Wirtschaft erste Lockerungen auf den Weg gebracht haben, um möglichst bald zur Normalität zurückzukehren, bemühe ich mich, eben nicht wieder in das Hamsterrad zurück zu kehren, sondern mit den gewonnenen Freiräumen bewusster umzugehen.
Das wünsche ich mir auch im Hinblick auf meinen Glauben: Mehr Zeit für den persönlichen Austausch so wie es bereits der/die eine oder andere Autor(in) an dieser Stelle geäußert hat. Die Beiträge in den „Gedanken zum Tag“ stellen hier eine Möglichkeit von vielen dar. Warum finden wir nicht auch häufiger persönlich zusammen und sprechen über Zweifel und Gewissheiten an unserem Glauben ebenso wie über Erfahrungen und Erlebtes? Dies könnte beispielweise im Hinblick auf bestimmte Lebenssituationen der Fall sein oder aber auch in Bezug auf aktuelle Phänomene und Geschehnisse wie diese Krise. Nutzen wir diese, um gemeinsam neue Wege zu finden, unseren Glauben zu leben und weiter zu entwickeln!
Noch wichtiger als der gemeinsame Austausch erscheint mir das gemeinsame Handeln. In unserer Pastoralvereinbarung haben wir miteinander verabredet, stärker auf die Menschen an den Rändern unserer Gesellschaft zu schauen. Diese übersehen wir oftmals oder sehen sie erst auf den zweiten Blick. Das hängt sicher auch damit zusammen, dass Menschen ihre Not aus verschiedenen Gründen kaschieren, weil sie ihnen peinlich oder unangenehm ist. Helfen wir einander, unser Bewusstsein für Menschen in Not zu schärfen. Not gibt es auch in unserer Umgebung in vielfältigen Formen – häufiger als wir denken.
Herzliche Grüße
Dr. Stefan Reißner