KRAFT – ich möchte heute darauf eingehen, wie wichtig es ist, an die eigene Kraft zu glauben und einander immer wieder Kraft zu schenken.
Freitag, der 12. Juni 2020 – ein Tag, den ich wohl nie vergessen werde. Wie so oft nutzte ich den freien Tag vor genau einem Jahr, um mich meinem Nebenerwerb, der Forstarbeit, zu widmen. Aufgrund des Borkenkäferbefalls drängte die Zeit und es lag viel Arbeit vor meinem Freund und mir. Bei schwülwarmen Temperaturen mussten wir immer wieder neue Kraftreserven mobilisieren, der geplante Feierabend verzögerte sich mehrfach.
Den letzten zwei Bäumen widmete ich mich schließlich allein. Ich entastete die obere Seite des Stamms, als sich dieser plötzlich in Bewegung setzte und meine beiden Unterschenkel einklemmte. Versuche, den Stamm wegzurollen oder die Beine darunter wegzuziehen, scheiterten. Die nötige Kraft hierzu konnte ich nicht aufbringen. Was sollte ich jetzt tun? Das Handy befand sich in der Hosentasche, auf der ich bäuchlings bergab lag. Ein Versuch, den Stamm hinterrücks mit der Motorsäge zu zerschneiden, scheiterte. Der Druck auf meine Beine wurde immer größer, der Kreislauf wurde schwächer und Hilflosigkeit machte sich breit. Meine Hilferufe hörte niemand und ich konnte meine Füße mittlerweile nicht mehr spüren. Mit eigener, mentaler Kraft habe ich es geschafft, nicht die Fassung zu verlieren. Mit der bloßen Hand begann ich den Waldboden unter meiner Hosentasche wegzugraben, sodass ich irgendwann tatsächlich an mein Telefon gelangen konnte.
Unsicher darüber, wie verletzt ich war, wählte ich die 112. Am anderen Ende der Leitung hörte ich eine vertraute Stimme, die ich sofort erkannte. Kurze Notrufabfrage, das kenne ich aus meinem Beruf. Mein Funkmeldeempfänger der freiwilligen Feuerwehr gab Alarm. Die Gewissheit, dass Hilfe unterwegs war, gab mir wieder Kraft. Meine Kameraden und der Rettungsdienst waren schnell vor Ort und konnten mich aus der Lage befreien. In dieser Situation fand ich viel Kraft durch die Betreuung meines Feuerwehrkameraden und Kindheitsfreundes, der erst von meiner Seite wich, als meine Frau den Rettungswagen betrat.
Im Krankenhaus dann die Gewissheit, dass der Unfall verhältnismäßig gut ausgegangen war. Noch am selben Abend konnte ich das Krankenhaus wieder verlassen. Erst jetzt fiel die Anspannung von mir ab und große Dankbarkeit machte sich breit.
Ich bin mir sicher, dass mir auch Gott Kraft und Schutz geschenkt hat – vielleicht auch der heilige Vinzenz, der Schutzpatron der Waldarbeiter. Als meine Frau und ich nach dem Unfall im Wanderurlaub waren, fiel uns beim Aufstieg zum Unternberg im Chiemgau ein Bildstock des heiligen Vinzenz am Wegesrand auf – ein Zeichen?
Wir alle sollten uns, auch in alltäglichen Situationen, einmal mehr daran erinnern, dass andere unsere Hilfe benötigen und dass es oft gar nicht viel braucht, um einander Kraft zu schenken.
Matthias Springmann
(Gemeindemitglied aus Oberveischede)