Liebe Leserinnen und Leser,
wer derzeit Gottesdienste in Kirchen mitfeiert, bekommt seinen Platz vom Ordnungsdienst zugewiesen. „Stammplätze“ gibt es nicht. Freie Platzwahl aber auch nicht. Kennen wir das nicht aus unserem Leben ?
Früher hieß es: „Von der Wiege bis zur Bahre.“ Der Lebensweg war vorgezeichnet. Man starb in dem Ort, in dem man auch das Licht der Welt erblickt hatte. Man erlernte den Beruf, den schon der Vater ausgeübt hat, übernahm den elterlichen Betrieb, fügte sich Konventionen. In der Gesellschaft gab es Klassen und Stände. Heute ist die Welt ein Dorf. Globalisierung und Digitalisierung schreiten unaufhaltsam voran. Es regiert der Markt der Möglichkeiten – unübersichtlich und fluide. Viele fragen sich: Wo ist eigentlich mein Platz in dieser Welt ? Andererseits gilt auch heute noch: Manche Plätze werden uns zugewiesen (Geburtsort, Familie, Sprache, auch Religionszugehörigkeit und sozialer Status). So stellen sich Fragen: Wie fülle ich den Platz aus, der mir zugewiesen wurde ? Gibt es in meinem Leben „feste Plätze“, die ich bis zum letzten Atemzug verteidige ? Schaue ich mir auch mal andere Plätze an ?
Heute feiert die Kirche die Geburtsfest des Hl. Johannes des Täufers. Er hat den Platz eingenommen, der ihm zugewiesen war – konsequent. Er ist authentisch. Auftrag und Verhalten stimmen bei ihm überein. Damit eckt er auch an. Er ist unangepasst und unkonventionell.
Vielleicht fragen die Menschen deshalb bewusst ihn: „Was sollen wir also tun ?“ Seine Antwort lautet: „Wer zwei Gewänder hat, der gebe eines davon dem, der keines hat, und wer zu essen hat, der handle ebenso!“ (LK 3, 10f).
„Die Suche nach dem eigenen Platz hat immer mit der Frage nach dem Platz der anderen zu tun. Gerechtigkeit kommt nicht von selbst, sie muss geschaffen werden; Frieden kommt nicht von selbst, er muss gebaut werden.“
(zitiert aus: Mönkebüscher, Bernd: Gott schaut zu uns auf. Weihnachten – das Fest der Umkehr. Würzburg, 2019. S. 21.)
Pace e bene
M. Kammradt