Der neue Leiter des Pastoralen Raums Olpe-Drolshagen, Pfarrer Johannes Hammer, über seine neue Stelle, die Herausforderungen der Kirche und die hiesigen Traditionen. Das Interview wurde geführt am Freitag, den 16.07.2021.
Herr Pfarrer, für alle, die noch keine Chance hatten, Sie persönlich kennenzulernen: Wie beschreiben Sie sich? Welche Eigenschaften sprechen Sie sich zu? Was können Sie hervorragend? Und ganz wichtig: Für welchen Fußballverein schlägt Ihr Herz?
Ich bin jemand, der gerne unter Menschen ist und sich mit ihnen austauscht, weil ich da die beste Gelegenheit habe, Menschen kennenzulernen und auch zu hören, was Menschen bewegt, was sie beschäftigt.
Was ich hervorragend kann, möchte ich mich nicht äußern. Man soll sich nicht selbst loben. Was ich allerdings sagen kann ist, dass ich, wenn ich einen Raum betrete, Menschen schon recht gut wahrnehme. Das hat damit zu tun, dass es mir Freude macht, Menschen zu sehen und auch zu spüren, was im Raum passiert, wer da ist und auch wie Menschen reagieren. Ich glaube schon, dass ich da einen ganz guten Sensus habe.
Zum Thema Fußball: Ganz ehrlich, ich bin gewiss kein Fußball-Fachmann. Ich habe gerade erst ein Tippspiel mit dem Pastoral-Team zur Europameisterschaft gemacht. Da war ich leider der Letzte. Wer weiß, wo ich bisher gelebt habe, der weiß auch, dass ich früher einmal in Dortmund gearbeitet habe. Auch wenn das vielleicht manche hier in Olpe nicht gerne hören: aus meiner vergangenen Zeit besteht eher eine Sympathie für Borussia Dortmund.
Gab es in Ihrer bisherigen beruflichen Laufbahn besondere Momente, Erlebnisse, Ereignisse, Begegnungen, die Ihnen in Erinnerung bleiben werden?
Das sind für mich viele persönliche Begegnungen mit Menschen, sei es in freudigen Situationen oder auch in schwierigen bzw. traurigen Momenten, die mich geprägt haben, die ich begleitet habe und die ich auch mitnehme. Es ist einfach ein wunderschöner Beruf, den ich habe. Insofern, dass ich mit Menschen zu tun habe, egal welcher Altersstufe sie angehören und welchen Bildungsstand sie haben. Und das ist auch das, was mich immer am Priesterberuf gereizt hat. Ich habe schon zu meiner Schulzeit gesagt, ich möchte einen Beruf haben, wo ich viel mit Menschen zusammenkomme. Und in meinem priesterlichen Dienst hat sich das nach meiner Einschätzung am ehesten erfüllt. Ich hatte auch mal daran gedacht, Lehrer zu werden. Ich hätte es dann im Wesentlichen aber nur mit einer Altersgruppe zu tun gehabt. Da ist das Spektrum in meinem jetzigen Beruf deutlich vielfältiger.
Sie sagen, die besonderen Momente waren insbesondere die, wo Sie Freude und/oder Trauer mit Menschen geteilt haben. Freude teilen wir alle gerne, aber wie ist es mit dem Teilen von Sorgen, Ängsten und Nöten? Trägt man da nicht irgendwann mal unglaublich viel auf seinen Schultern?
Ich habe im Laufe der Jahre gelernt, damit umzugehen. Natürlich gibt es belastende Situationen. Da hilft es mir, dass ich persönlich gut vernetzt bin, dass ich gute Freundschaften pflege, in denen ich mich verortet weiß, wo ich auch mal im übertragenen Sinn die Beine hochlegen und sagen kann, was mich bewegt. Ja, natürlich, ich kann als Priester einfach nüchtern irgendetwas abarbeiten. Für mich ist es aber schon wichtig, die Dinge ein Stück weit an mich heranzulassen. Selbstverständlich ist ein gewisser Selbstschutz notwendig, weil die Menschen in der Begleitung erwarten, dass ich dies mit einer guten Mischung aus Nähe und Distanz tue. Das ist, glaube ich, besser, als wenn ich mit in ihre Probleme hineinrutsche, um ihnen auch Orientierung geben zu können. Aber es ist auch nicht so, dass es gut wäre, wenn ich völlig unsensibel wäre. Ja, also die Sensibilität ist unbedingt notwendig für diese Aufgabe. Ich denke aber, dass ich genügend Gelegenheiten finde, um einen guten Ausgleich zur beruflichen Tätigkeit zu finden. Entweder, indem ich mich bei vertrauten Menschen ausspreche, aber ebenso durch körperliche Betätigung. Ich fahre zum Beispiel ganz gerne Rad. Zu Beginn der Corona-Pandemie habe ich mir ein E‑Bike (Tourenrad) zugelegt und bin damit oft unterwegs. Dadurch habe ich in den letzten Wochen vieles erkunden können, was den Olper und Drolshagener Raum angeht. Das ist ja ganz praktisch. Man fährt über die Dörfer, stellt kurz das Rad an der Kirche ab, geht rein, schaut sich um. Okay, so sieht das hier aus. Alles klar. Und dann auf zum nächsten Ort. So habe ich mir schon einiges erradelt. Das, denke ich, ist und war immer ein guter Ausgleich.
“Hier ist vieles noch selbstverständlich, was dort schon lange nicht mehr selbstverständlich ist.”
Was bringen Sie mit — aus Attendorn, Iserlohn, Dortmund oder Menden — das Olpe von Nutzen sein wird oder dass die Ölper unbedingt brauchen? Was ist neu für Sie in Olpe?
Ich wage nicht zu sagen, was die Ölper unbedingt brauchen. Das ist nämlich schnell überheblich. Das wissen die Ölper selbst am besten. Natürlich, dadurch, dass ich an verschiedenen Orten war, bringe ich unterschiedliche Dinge mit. Dadurch, dass ich hier in der Nähe geboren und aufgewachsen bin, ist mir die südwestfälische Mentalität nicht fremd. Aber ich habe natürlich auch schon anderes kennengelernt, wenn ich zum Beispiel an Dortmund oder Iserlohn denke. Das sind Städte, die ‚Ausläufer‘ des Ruhrgebiets sind, auch eine ganz andere Bevölkerungszusammensetzung haben, sowohl was die Nationalitäten angeht als auch die Religionen und die Konfessionen. Ich habe in diesen Tagen dazu ein Beispiel vor Augen. Da sagten mir Leute: „Wir haben kaum noch Messdiener. Es kommen nur noch zwei oder drei“. Dann antwortete ich immer: „Ich freue mich, dass sie da sind!“ Ich habe in Iserlohn und in Dortmund nämlich oftmals Situationen gehabt, wo ich ganz allein am Altar stand, auch sonntags. Also insofern bin ich sehr dankbar für das, was ich hier antreffe. Hier ist vieles noch selbstverständlich, was dort schon lange nicht mehr selbstverständlich ist, gerade im Hinblick auf Kinder- und Jugendarbeit. Das wissen wahrscheinlich die Menschen hier nicht hoch genug einzuschätzen. Das ist ein wenig Kritik, die ich hier üben will. Ich weiß um die Traditionen und dass hier früher mehr war. Und auch darum, dass auch in Olpe und Drolshagen die kirchlichen Abbrüche deutlich spürbar sind. Ich denke nicht zuletzt an die vielen Kirchenaustritte. Aber immerhin, das, was derweil noch ist, weiß ich zu schätzen. Und aufgrund meiner früheren Tätigkeit kann ich auch mit einer großen Offenheit mit Menschen umgehen, die eine andere Religion, andere Konfession oder andere Nationalität haben. Damit bin ich durchaus vertraut und ich gewinne dabei immer etwas. Andere Ansichten, andere Kulturen kennenzulernen und dadurch nochmal neu auf mein eigenes Leben zu schauen und auf unsere Kultur mit unserem christlichen Glauben.
Zum Thema, was neu ist: Ich musste tatsächlich in den letzten Tagen die Heimatkunde ein bisschen auffrischen, was zum Beispiel die geographische Lage der Dörfer angeht. Aber das ging dann doch recht fix. Und ich glaube, dass ich in den nächsten Wochen den Überblick bekomme, was wo ist und wer wo ist. Hoffe ich zumindest (lacht), und für das Eine oder andere vor Ort verantwortlich ist.
Eine Station Ihrer beruflichen Laufbahn war die Jugendarbeit. Welche Erfahrungen haben Sie zur damaligen Zeit gemacht? Wie standen die jungen Menschen zum Glauben? Wie war Ihre Einstellung zur Institution Kirche? Und heute um die 25 Jahre später? Wie hat sich die Jugend Ihrer Erfahrung nach verändert? Wie steht es heute mit dem Glauben und der Kirche?
Was mir sehr viel gebracht hat, war die Arbeit im Jugendverband. Ich war eine Zeit lang Diözesanpräses der Katholischen Studierenden Jugend (KSJ). Das ist ein Nachfolgeverband des Bunds Neudeutschland und Heliand. Die älteren unter uns wissen um diese Verbände. Da habe ich gelernt, Kirche nochmal anders zu leben. Die Verbände sind stark demokratisch, von Mitbestimmung geprägt. Von meiner Kindheit und Jugend her kannte ich eher das hierarchische Kirchenbild. Der Pfarrer geht voran, entscheidet und „alles wird gut“, ein bisschen humorvoll gesagt. Dem ist nicht mehr so. Die Institution Kirche lebt sehr stark von den Impulsen, die durch das Zweite Vatikanum (1962–65) gekommen sind, was Mitbestimmung, Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen angeht, Übernahme von Verantwortung. Und ich habe den Eindruck, wir tappen in eine Falle, wenn wir sagen, es sind weniger Priester oder es gibt weniger hauptamtliches Personal und deshalb müssen die sogenannten Laien mehr Verantwortung übernehmen. Sie müssen unabhängig davon mehr Verantwortung übernehmen! Ansonsten wären Laien nur Lückenbüßer. Und das können sie und dürfen sie gar nicht sein. Die Zukunft der Kirche liegt nach meiner Einschätzung darin, dass Menschen ihre Art, wie sie glauben und ihre Überzeugungen mit einbringen und dadurch Kirche lebendig machen. Dabei hängt es von jedem Einzelnen ab und nicht nur von dem, der für alles Verantwortung trägt oder vorangeht. Ich glaube, wir alle tragen Verantwortung. Das ist die Sicht, die sich im Lauf der Jahre bei mir entwickelt hat.
Zur Frage der Veränderung der Jugendlichen in den letzten Jahren: Jugendliche haben heute viel mehr Möglichkeiten, ihre Freizeit zu gestalten, als das früher der Fall war. Da war Kirche oder Kirchengemeinde ein Angebot und dort fand alles statt. Heutzutage gibt es viele Angebote neben der Kirche, die teilweise besser laufen als im kirchlichen Bereich, vor allen Dingen was die Gestaltung der Freizeit angeht. Jugendliche sind distanzierter, was die Institution der Kirche betrifft, auch viele Erwachsene. Aber ich will nicht behaupten, dass sie deswegen weniger glauben. Ich kann mich an ein Gespräch mit jemandem erinnern, das ich vor kurzem geführt habe, der sagte: „Ich glaube. Aber mir ist das, was Kirche zurzeit ausmacht und wie die Kirche agiert als Institution, zu eng.“ Das sollte zumindest nachdenklich stimmen und ein Anlass sein, über die eigene Position nachzudenken. Ich erlebe Kirche und Gesellschaft zurzeit stark polarisiert. Kirche spiegelt immer die Befindlichkeit einer Gesellschaft wider. Die Gesellschaft als Ganzes und somit die Kirche ist stark polarisiert, was verschiedene Meinungen, Positionen angeht. Zum Beispiel zu den kritischen Fragen wie Priestertum der Frau, Zölibat, gleichgeschlechtliche Liebe. Ich denke, wir müssen uns diesen Fragen bzw. Themen stellen. Und eines darf dabei nicht passieren, auch wenn wir unterschiedliche Meinungen haben: dass wir nicht mehr am Tisch sitzen bleiben, sondern dass wir uns gegenseitig mit unseren unterschiedlichen Positionen aushalten.
“Ich denke, dass kirchliches Miteinander immer ein Geben und Nehmen ist.”
Sie sagten eingangs, dass Ihre Arbeit mit Jugendlichen für Sie prägend im Hinblick auf demokratische Strukturen war, also sozusagen im Hinblick auf den Weg „von unten nach oben“. Das aktuelle Bild der Kirche in der Öffentlichkeit ist hingegen oftmals eines, das eher den Weg „von oben nach unten“ abbildet.
Für mich ist vielfach überraschend, wie Menschen zum Teil reagieren, wenn sie Kirchenvertreter tatsächlich erleben. Wenn sie mir zum Beispiel begegnen und sagen: „Ich habe Kirche bisher ganz anders wahrgenommen als in der Art, wie Sie auf Menschen zugehen und mit Menschen umgehen.“ Dann merke ich, viele bedienen mittlerweile Klischees, weil sie sich eher außerhalb der Kirche bewegen. Und ich habe den Eindruck, dass in den Gemeinden vor Ort bereits vieles schon von dem gelebt wird, was man von der Kirche als Gesamtes erwartet, sodass die Kritik, die an der Hierarchie geübt wird, zum Teil unberechtigt ist, zum Teil berechtigt. Und ich denke, dass kirchliches Miteinander immer ein Geben und Nehmen ist. Es soll ein gutes Miteinander sein von Gemeindeleitung, desgleichen Kirchenleitung, Bischof, Papst, und den Menschen, die vor Ort leben. Da bedarf es wirklich eines Zuhörens und eines echten Dialogs. Ich frage mich manchmal: „Findet der denn wirklich statt?“ Oder greifen da teilweise Mechanismen, die in früherer Zeit tragend waren, die jedoch für mich auf Dauer nicht tragend sind, wenn ich an die Zukunft von Kirche denke. Wir werden in den nächsten Jahren in einer anderen, neuen Sozialform von Kirche ankommen, ob wir wollen oder nicht. Da wird uns schon der liebe Gott hintreiben. Das ist meine Überzeugung. Da sind wir mitten auf dem Weg. Und da wissen wir alle noch nicht so genau, wo dieser enden wird. Aber enden im positiven Sinne, nicht, dass es dann der Untergang ist, sondern ein Schritt zu einem Neuanfang, ein Schritt in eine gute Zukunft. Dass es auf dem Weg dorthin hier und da hakt und hier und da dann doch wieder Divergenzen, Stress gibt, das ist normal. Da brauchen wir noch einen langen Atem und die zeitweilige Lektüre der Hl. Schrift zur eigenen Orientierung.
Und auch Geduld…
Ja, das stimmt. Manche Leute sagen jedoch: „Wir haben schon lange genug Geduld gehabt. Es tut sich immer noch nichts.“ Denen sage ich: „Vielleicht ist die Kirche mit ihrem langen Atem ja auch weise?“ Sie ist immerhin mit ihren gut 2.000 Jahren der älteste Global Player und bestand so manche Schwierigkeiten. Und es gab sicherlich Zeiten, die noch viel turbulenter waren als die Jetzigen. Insofern kann ich ein Stück gelassen sein und brauche mich selbst nicht zu wichtig nehmen bzw. zu überschätzen. Mein Leben währt nur eine kleine Zeitspanne in der langen Geschichte der Kirche.
Mal angenommen, Sie werden eingeladen zu einem Kennlern-Rundgang durch die große Gemeinde. Welchen Kuchen mögen Sie am liebsten zu Ihrem Kaffee?
Das werde ich nicht sagen, weil ich den sonst ständig aufgetischt bekomme.
Ich habe einmal in einer meiner früheren Gemeinden den Fehler begangen, zu sagen, welche Suppe ich gerne esse und bekam dann regelmäßig eben dieselbe vorgesetzt. Das lassen wir mal lieber.
Welchen Ort und welche Person in der Gemeinde möchten Sie unbedingt kennenlernen und warum?
Also das ist ja eine hochgefährliche Frage, weil ich alle ausschließe, die ich nicht nenne. Auch das lasse ich lieber. Ich möchte jeden Ort kennenlernen. Ich bin für ein großes Gebiet verantwortlich. Und da habe ich schon den Anspruch, mich überall zu zeigen und mit den Menschen vor Ort in Kontakt zu kommen. Egal wer es ist. Da jetzt selektiv vorzugehen, hielte ich für unklug. Natürlich, wenn es darum geht, einen neuen Arbeitsbereich zu erkunden, dann muss man mit bestimmten Personen zuerst in Kontakt kommen. Das sind sicherlich die Sprecher aller Gremien, Kirchenvorstände, Pfarrgemeinderäte, etc. Natürlich habe ich mich im Vorfeld ebenfalls mit Pfarrer Steiling ausgetauscht und mit den Mitgliedern des Pastoralteams. Ich tausche mich ebenso mit Pfarrer Leber und seinen pastoralen Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen in Drolshagen aus und bespreche mit ihnen die Frage, wie der Übergang bis zum neuen Dienstantritt von Pfarrer Leber am 1. November 2021 in Altenhundem gestaltet werden.
Worauf freuen Sie sich?
Auf die Messe heute Abend auf dem Ümmerich (lacht)!
Ich freue mich, weil die Schützenfeste bzw. Schützenmessen immer wieder Gelegenheiten bieten, neue Menschen kennenzulernen. Selbst wenn es pandemiebedingt weitaus weniger sind als sonst. Ich habe jetzt schon einige Schützenmessen gefeiert; wenn man die Schützen kennt, kennt man das Dorf bzw. die Stadt. An den Schützen kommt man hier im Bereich in Südwestfalen nicht vorbei. Auch nicht an der Feuerwehr und an der einen oder anderen weiteren Gruppierung. Und das war für mich schon sehr aufschlussreich. Ich war in Saßmicke, ich war in Rhode, ich war in Neuenkleusheim. Ich bin bald in Rüblinghausen und in Sondern zur Schützenmesse und heute Abend natürlich auf dem Ümmerich.
Darüber hinaus gibt es so viele Dinge, auf die ich mich freue. Vor allem aber sind es die Menschen.
“Es ist schon wichtig, dass die Teilbereiche des Pastoralen Raumes lebendig sind und lebendig bleiben.”
Der Pastoralverbund Olpe und der Pastoralverbund Kirchspiel Drolshagen werden zukünftig zusammengelegt. Welche Vorteile sehen Sie in einer derartigen Zusammenführung? Welche eventuellen Schwierigkeiten könnten Ihrer Meinung nach auftreten?
Damit das schon mal von Anfang an klar ist und das habe ich ja auch schon im Gesamtpfarrgemeinderat gesagt: Ich bin kein Freund von großen pastoralen Räumen. Auch wenn sich das jetzt widersprüchlich anhört. Ich bin beauftragt, einen großen Raum zu leiten, weiß aber sehr genau, dass das nicht in jeder Hinsicht hilfreich ist. Es trägt zur teilweisen Anonymisierung anstatt zur persönlichen Begegnung bei. Es ist schon wichtig, dass die Teilbereiche des Pastoralen Raumes lebendig sind und lebendig bleiben. Sonst funktioniert das Ganze nicht. Subsidiäre Strukturen sind das Nonplusultra und daraufhin möchte ich arbeiten. Ich mag auch das Wort „Zusammenlegen“ nicht. Ferner nicht das Wort „Fusion“. Das sind Begriffe, die provozieren und nicht weiterhelfen. Ebenso das Wort „Zentralisierung“ mag ich nicht. Stattdessen spreche ich lieber von „Subsidiarität“. Wir müssen vernünftige Strukturen entwickeln. Wo deutlich wird, dass jeder vor Ort das machen kann, was seinen Ort angeht, auch selbst gestalten kann, ohne das Gesamte aus dem Blick zu verlieren. Und umgekehrt: wer für das Gesamte verantwortlich ist, muss den Blick für die Details vor Ort bewahren. Das ist ein Geben und Nehmen. Chancen sehe ich schon darin, wenn man einander wahrnimmt, einander zuhört, z.B. nächste Woche, wenn die Geschäftsführer der Kirchenvorstände zusammensitzen, werden sie als ersten Punkt zunächst einmal erzählen: was ist denn bei Ihnen vor Ort? Vieles bekommen wir voneinander gar nicht mit und im Gegenteil davon kann durchaus eine Bereicherung liegen. Einfach mal zuhören. Wie macht Ihr das denn? Und wie läuft das bei Euch? Kann das eine Anregung für uns sein? Oder können auch Menschen von uns dort bei Euch das bekommen, was sie bei uns nicht erhalten, weil es diese Angebote bei uns ganz einfach nicht gibt?
Vielleicht nochmal nachgefragt zum Thema „Pastoralvereinbarung“ und der Ungleichzeitigkeit, die wir da in Prozessen haben in Olpe und Drolshagen.
Ich halte es für richtig, in mehreren Schritten vorzugehen. Zunächst möchte ich die sogenannte Steuerungsgruppe aus der Zeit der Verabschiedung der Pastoralvereinbarung reaktivieren, allerdings mit der Maßgabe, dass noch zwei, drei Vertreter aus Drolshagen dabei sind. Und das sind für mich erst einmal die Vordenker, die überlegen sollen, wie ein solcher Prozess des Zusammenwachsens angestoßen werden kann. Nicht zusammengeführt werden, sondern zusammenwachsen und Identität entwickeln für den gesamten pastoralen Raum, ist dabei das Leitbild. Wenn dann erste Ergebnisse vorliegen, möchte ich auf das Pastoralteam, die Pfarrgemeinderäte und die Kirchenvorstände zugehen und mit diesen in einen Austausch darüber kommen, wie es denn gehen mag. Auf keinen Fall will ich, dass die Pastoralvereinbarung drastisch gesagt in die Mülltonne gekloppt wird, sondern dass sie um den Teil ergänzt wird, der dann Drolshagen ausmacht. Da müssen wir gut schauen. Überlegen, wie das funktionieren kann.
Ich habe den Vorteil, dass ich den Prozess, der jetzt vor uns liegt, schon zweimal durchlaufen habe. Einmal 1999 in Menden „im Kleinformat“. Da hatte ich die Leitung des Pastoralverbundes Menden-Nord. Als ich meine erste Pfarrstelle übernommen hatte, sollte ich vier Gemeinden in einen Verbund zusammenführen und habe dabei gelernt, was alles schief gehen bzw. nicht gut laufen kann. Danach von 2008 bis 2021, 13 Jahre lang, der Pastoralverbund Iserlohn, der vorher aus drei Pastoralverbünden bestand. Hier habe ich schrittweise eine Gemeinde nach der anderen übernommen. Erst hatte ich zwei Gemeinden, am Ende waren es neun. Die Reaktionen, die im Laufe eines solchen Prozesses aus den Kirchengemeinden kommen, sind ganz normal: „Hilfe, wir gehen unter! Hilfe, wir werden feindlich übernommen! Unser Geld geht jetzt nach Olpe!“ Ich habe bei der Vermögensabgabe in Drolshagen zu einem der vier Kirchenvorstände gesagt: „Ihr habt ja ganz gut Geld. In Olpe braucht man ein bisschen was … (lacht wegen seiner humorvollen Anekdote)!“ Bumms, das Getöse war groß. Im Ernst, man braucht nur bestimmte Tasten zu drücken und schon geht’s rund. Klar, oder die Menschen befürchten: „Wir sind nicht mehr im Blick und bei uns werden keine Messen mehr gefeiert.“ Das ist dann die große Not, die gerne thematisiert wird. Aber, ehrlich gesagt, ist das ja jetzt schon eingetreten. Es ist nun beileibe nicht so, dass das Messangebot, welches wir zurzeit haben, noch dem entspricht, was wir vor 50 oder selbst noch vor 20 Jahren hatten. Die Situation war eine andere, so dass jetzt schon in manchen Orten keine regelmäßige Eucharistiefeier mehr stattfindet. Für mich ist entscheidend, dass weiterhin vor Ort gebetet wird und dass die Leute sich nicht davon abhängig machen, dass ein Priester kommt und dass sie nur dann beten können, wenn ein Priester da ist. Hier geht es um ein Kirchenbild, welches wir fahrlässiger Weise über Jahrzehnte geprägt haben, und wo es jetzt darum geht, zu lernen, dass Gebet etwas sehr Wichtiges ist und es nicht allein davon abhängt, dass wir unsere gewohnte Messe in unserer Kapelle feiern können. Was ich zum Beispiel in Neuenkleusheim sehr schön finde, es ist ja auch auf der Homepage des Pastoralverbundes zu finden: da sind mehrere Frauen, die sich zusammengetan und gesagt haben: „Wir machen jetzt neue Gottesdienst-Formate.“ Das müssen nicht unbedingt Wort-Gottes-Feiern sein. Das ist eine sehr enge, sehr profilierte Form. Es gibt viele andere Formen von Liturgien, unabhängig davon, ob jetzt ein Pastor kommt oder nicht, wo sie selbst versuchen, zu beten und etwas zu tun, was interessant und attraktiv sein kann. Mir ist klar, dass die ältere Generation mit solchen Gedanken weniger gut umgehen kann. Das werden wir nicht ändern. Das muss ich so respektieren, wie es ist. Das ist jetzt die Gemengelage und wir müssen in der zweiten Jahreshälfte schauen, wie wir Drolshagen mit in den Fokus nehmen und wie wir, wenn Pastor Leber geht, wie wir dann die Dienste möglichst gut aufteilen, so dass alle Gemeinden im Blick bleiben. Jedoch in der Art und Weise, dass das getan werden kann, was möglich ist. Mehr nicht.
Die Pastoralvereinbarung beschreibt die Notwendigkeit des verstärkten Einbindens von Laien bzw. ehrenamtlich Tätigen. Wie kann das in Ihren Augen gelingen?
Das habe ich bereits benannt. Die Einbindung von Laien und Ehrenamtlichen ist für mich eine Selbstverständlichkeit. Ich bin nur so gut wie die Menschen, die mich umgeben, gut sind und die Arbeit machen.
Welches Ziel verfolgen Sie mit Ihrer Arbeit im Pastoralverbund Olpe und Drolshagen? Was haben Sie sich vorgenommen? Was ist Ihnen bei Ihrer Arbeit wichtig? Und woran werden Sie erkennen können, dass Sie erfolgreich waren?
Eines ist wichtig: dass wir nicht den Riesenfehler machen, nur über Strukturen zu diskutieren. Das haben wir schon die letzten Jahre in unserem Erzbistum mehr als ausführlich getan. Die Versuchung ist groß, wenn solche großen Gebilde zusammenkommen, dass man nur Strukturdebatten führt. Das ist verhängnisvoll. Dabei kommen dann andere Themen zu kurz und die entscheidende Frage, welche Voraussetzungen geschaffen werden müssen, dass Menschen den christlichen Glauben weiter praktizieren? Das ist für mich das Grundlegende. Das gilt auch für die Arbeit des Gesamtpfarrgemeinderates. Wenn der am Ende seiner Legislaturperiode sagt: „Wir haben nichts geschafft, wir haben nur schön diskutiert…“, dann stimmt etwas nicht. Ich habe diesbezüglich in der vergangenen Sitzung des Pfarrgemeinderates gesagt: „Lasst uns doch mal schauen, über welche Themen wir miteinander sprechen wollen.“ Es dürfen nicht allein Strukturfragen sein. Für mich ist äußerst wertvoll – damit ziele ich auf das, was ich aufmerksam auf der Homepage im Pastoralverbund Olpe verfolge – dass jeder in der Lage ist, über seinen eigenen Glauben zu sprechen und selbst Zeugnis davon geben kann. Seit Bekanntgabe meiner Ernennung zum Pastoralverbundleiter in Olpe und Drolshagen habe ich sehr zeitnah die GEDANKEN ZUM TAG verfolgt, weil ich das für einen sehr guten Ansatz halte. Ist es nicht vielleicht noch glaubwürdiger, wenn nicht der Pastor, sondern jemand anders, der „kein Profi“ ist, erzählt, was in seinem/ihrem Leben wichtig ist, was seine/ihre Werte sind und woran er/sie glaubt oder nicht glaubt? Das kann mehr bewegen als alles andere. Und das ist auch mein Ziel, das wir in den nächsten Jahren in dieser Weise in einen guten Austausch kommen.
“Wir kommen erst dann ans Ziel, wenn sich jeder selbst nicht so wichtig nimmt und immer wieder daran denkt, dass es bei allem um Jesus Christus geht.”
Kirche gestalten, um sie lebendig und attraktiv zu halten. Wie ist Ihre Vorstellung einer zukunftsorientierten Kirche? Wie sehr muss sich Kirche verändern und wie sehr kann sie mit der Zeit gehen? Was wünschen Sie sich von einer modernen Kirche? Welche Rolle wird der Glaube in der Zukunft haben?
Ich habe es ja im Grunde genommen schon ausgesprochen, wobei ich Demokratie, Mitbestimmung nicht unbedingt als Allheilmittel für alles und jedes erachte. Beste Demokratie funktioniert, wenn die Menschen mit einer entsprechenden Haltung darangehen. Wir kommen erst dann ans Ziel, wenn sich jeder selbst nicht so wichtig nimmt und immer wieder daran denkt, dass es bei allem um Jesus Christus geht. Dann sind wir auf einem guten Weg. Na ja, dann kann das eine Demokratie sein oder sonst eine Sozialgestalt der Gesellschaft oder der Kirche: Sie funktionieren nur und bewegen etwas, wenn sie Christus nicht aus dem Blick verlieren. Was nützt die beste Demokratie, wenn Menschen doch nur um sich selbst kreisen und ihren eigenen Vorteil suchen, diesen wohlmöglich noch vor Gericht einklagen. Es geht um das Verändern und Einüben von Haltungen, die Menschsein und das Miteinanderleben fördern. Das ist meine Überzeugung.
Und wenn ich als Pfarrer Entscheidungen fälle, bin ich immer gut beraten, andere nach ihrer Meinung zu fragen, damit ein Konsens möglich ist. Mein Ziel war bisher immer, möglichst wenig, am besten gar nichts allein zu entscheiden, sondern zumindest die Sprecher von Gruppen und Gremien einzubinden.
Wir erleben viel Rückbesinnung auf Werte, Persönlichkeit und Charakter. In der Zukunft zählen Berufe, die sich durch Empathie auszeichnen — als Kontrastprogramm zur künstlichen Intelligenz. Menschenzentrierung als Stichwort — ein „Trend“ auch in der Unternehmenskultur und in der Führung. Diese Gedanken könnten Aufschwung sein für christliche Inhalte. Was meinen Sie dazu?
Im Grunde habe ich das vorhin angesprochen. Ganz praktisch: ich habe nicht vor, den Menschen in den Gemeinden zu erzählen, was sie zu tun haben, sondern sie zunächst einmal zu fragen: „Was bewegt Dich?“, „Was kannst Du gut?“, „Was möchtest Du gerne tun?“ und „Wie kann ich Dich dabei unterstützen?“ Das ist für mich der grundlegende Ansatz. Und dann werden die Leute auch Freude daran behalten, sich einzusetzen. Das ist zurzeit mein Credo. Wichtig ist zudem, möglichst viel zu kommunizieren. In jeder Gemeinde, in der ich bisher war, wurde immer gesagt: „Hier läuft eine schlechte Kommunikation.“ Das ist tatsächlich in jeder Gemeinde immer ein Grundthema. Es wird nicht die ideale Kommunikation geben, aber wir leben schon davon, gut miteinander zu kommunizieren und möglichst viele mit einzubeziehen, wenn wir Entscheidungen treffen.
“Die Kirche muss dabei nicht hinter jedem Zeitgeist herlaufen.”
Kirche in der Krise, Kirche in der Kritik – Skandale und Kirchenaustritte. Welche Chancen sehen Sie für die katholische Gemeinschaft ganz aktuell?
Wie gesagt, ich mache mir Sorgen, dass wir unterschiedlichen Positionen und ein Stück weit uns selbst nicht aushalten können. Aber das ist eben für mich das Entscheidende. Und deshalb scheue ich es nicht und mag es auch, mit Menschen zusammenzukommen, die eine ganz andere Meinung vertreten und mit diesen darüber zu sprechen. Anders wird es nicht gehen. Darin liegen Chancen im Sinne einer Neubesinnung. Ebenso, sich in Frage stellen zu lassen. Die Kirche muss dabei nicht hinter jedem Zeitgeist herlaufen. Aber gerade zurzeit ist es unbedingt notwendig, Kritik auszuhalten, damit gut umzugehen.
Welche Antworten gibt die Kirche in der Corona-Krise? Wie erreicht sie die Gläubigen? Welche neuen Formen des Betens, des Zusammenseins werden erfunden? Was wird neu, was anders? Wie wandelt sich die Rolle der Kirche in Krisenzeiten? Ganz frei – Was müsste Kirche tun, um in Zeiten der pandemisch bedingten Entfremdung oder Isolation relevante Angebote unterbreiten zu können?
Wir haben alle in den letzten Wochen und Monaten gelernt, was es heißt, mit einer Pandemie umgehen zu müssen. Einschränkungen ja, aber es ist auch viel Kreativität dadurch entstanden. Eine andere Form von Sternsinger-Aktion oder die Gestaltung von kirchlichen Festen wie Ostern und Weihnachten. Ich erinnere mich an eine Aktion in Iserlohn namens „Weihnachten im Karton“. Da wurden verschiedene Kartons gepackt, passend für Ehepaare, passend für Familien, passend für Alleinstehende, mit bestimmten Gegenständen, mit denen sie selbst Weihnachten gestalten konnten. Das hat viel Kreativität befördert. Ich bin nicht ein Verfechter derer, die sagen, Kirche hätte sich in der Pandemie zurückgezogen und die Leute im Stich gelassen. Das wird oftmals geäußert. Da ist trotz allem viel passiert. Ich denke beispielsweise an die vielfältige Nachbarschaftshilfe. Klar, es hat die persönliche Begegnung der Menschen in der Anfangsphase der Pandemie gelitten, weil keiner so genau wusste, wie gefährlich das Virus ist. Wie funktioniert die Übertragung dieses neuen Virus? Damit haben wir mittlerweile gelernt, umzugehen und wir haben unheimlich aufgeholt. Noch nicht ganz, was die modernen Medien angeht, und festgestellt, dass man dadurch natürlich noch viel mehr Menschen erreichen kann. Es wird gelegentlich darüber diskutiert, inwiefern Live-Streams von Gottesdiensten Sinn machen oder nicht. Ich bin der Ansicht, dass man damit nur bestimmte Altersgruppen erreicht. Jugendliche und Kinder schon mal gar nicht. Jugendliche bräuchten eher kurze Videoclips von 2–3 Minuten, dann ist für sie, salopp gesagt, schon Weihnachten. Die werden keine ganze Christmette auf dem Laptop anschauen. Aber immerhin. Und wenn das gut gemacht ist, dann hat man schon viel gewonnen. Also ich glaube, gerade was die modernen Medien angeht, da haben wir gemerkt, dass wir viel Aufholbedarf haben. Und hier und da haben wir auch ganz gut etwas auf den Weg gebracht. Wenn ich z.B. durch die Brille der Ökologie schaue: ich hatte in der vergangenen Zeit viele Konferenzen. Durch Videobesprechungen habe ich mir viele Autokilometer gespart. Wobei das nicht immer gut ist. Also, wenn man sich kennt, kann man sich über digitale Konferenzen absprechen. Aber sonst „live am Tisch“ ist dann doch sehr hilfreich, gerade wenn man sich noch nicht gesehen hat. Deswegen hatte ich im ersten Auftakt mit dem Gesamtpfarrgemeinderat größten Wert daraufgelegt, dass wir uns live in St. Marien treffen, um einfach auch mal die Leute zu sehen und wahrzunehmen. Also, Präsenz wird nicht durch die modernen Medien ersetzt.
Apropos Präsenz, viele glauben nicht, dass wir nach der Pandemie in Gottesdiensten und sonstigen Veranstaltungen wieder die alte Präsenz bzw. Besucherstärke erreichen werden. Wie sehen Sie das?
Das glaube ich ebenfalls nicht. Das ist für mich aber keine Tragödie. Vielleicht wird manches dadurch ehrlicher. Hängt es allein davon ab, dass die Kirche proppenvoll, dass der Gottesdienst für mich „der Hype“ ist? Natürlich ist es schön, vor vielen Menschen zu sein, mit vielen Menschen zusammen zu feiern, um Gottes Willen. Aber ich denke, es spielen noch andere Kriterien eine Rolle, damit ein Gottesdienst Dichte hat und Menschen anrührt. Und das ist nicht allein von der Besucherzahl abhängig. Sehr kurz gefasst sage ich dann immer: „Ich mache Seelsorge und keine Zählsorge.“
“Es geht um den Kern des Glaubens, dass wir uns unter den Schutz Gottes stellen.”
Kommen wir zu einigen Fragen betreffend Besonderheiten und Traditionen des Pastoralen Raumes Olpe-Drolshagen. Es gibt in Olpe etliche Gelübde, z.B. das Agatha-Gelübde und das Rochus-Gelübde. Die Agathaprozession am 5. Februar (bzw. am Sonntag danach) findet immer statt. Die Rochusprozession am 16. August (bzw. am Sonntag danach) gibt es seit einigen Jahren mangels zu geringer Beteiligung nicht mehr. Die Bewohner der Westfälischen Straße, der Rochusstraße und der Felmicke fanden das sehr schade. Wie stehen Sie zur Einhaltung dieser jahrhundertealten Gelübde?
Ja, wie stehe ich dazu? Wenn es reiner Traditionalismus ist, brauchen wir es nicht mehr zu machen. Also Traditionen ohne Gehalt, die sind hohl, die sind leer. Deswegen ist es entscheidend, wenn diese Traditionen gepflegt werden, an den Gehalt zu erinnern. Worum geht es da eigentlich? Und einen Übertrag herzustellen auf die heutige Zeit. Die sind aus einer gewissen historischen Situation heraus entstanden, beinhalten aber Anknüpfungspunkte für die Jetztzeit. Ich habe, neugierig wie ich natürlich war, den Livestream beim diesjährigen Agathafest gesehen. Ich habe verfolgt, wie der Stadtrat sein Gelübde erneuert hat. Das sind gute Traditionen, wenn sie auch gelebt werden, indem der Bezug zur Jetztzeit hergestellt wird. Pfarrer Clemens Steiling hat das in seiner Predigt sehr gut herausgestellt und das ist auch mein Anliegen, wenn es um die Pflege von Bräuchen geht. Also zu sagen, das haben wir immer schon so gemacht, ist natürlich nicht das Entscheidende, sondern es geht um den Kern des Glaubens, dass wir uns unter den Schutz Gottes stellen und uns daran erinnern lassen, dass ohne eine Rückbindung – Religion heißt ja zu Deutsch Rückbindung – Menschliches Zusammenleben nicht funktioniert. Nun ist es in Olpe und Drolshagen so, dass man noch weitestgehend weiß, was katholisch ist und was Christsein bedeutet. Das ist in Dortmund und in Iserlohn so nicht mehr so selbstverständlich. Und da war es für mich dann dort auch umso spannender, mit Menschen in Berührung zu kommen, die nicht mehr glauben oder die große Distanz zur Kirche haben. Da ist der Kern des Glaubens umso mehr gefragt und ins Wort zu bringen. Also, wie gesagt, den Gehalt der Traditionen herauszustellen, das Gute in die Zukunft zu tragen, das ist für mich wichtig. Wenn es aber nur noch hohl und leer ist, dann muss man sich die Frage stellen, ob man es überhaupt noch tun soll.
Es gibt in Olpe im Frühjahr/Sommer zwei Prozessionen, die Fronleichnamsprozession und die Christi-Himmelfahrts-Prozession. Die Fronleichnamsprozession in der Stadt ist (bisher) unstrittig. Bezüglich der Christi-Himmelfahrts-Prozession gab es vor einigen Jahren im Gemeindeausschuss die Diskussion, ob man nicht den ersten Teil (vor dem Gottesdienst auf dem Kreuzberg) ausfallen lassen sollte. Wie stehen Sie zu diesen Prozessionen?
Ich bitte um Verständnis, aber diese Frage kann ich noch nicht beantworten. Ich muss mir das erst einmal anschauen, mir selbst ein Bild machen. Die Frage ist so gestellt, als ob ich hier schon länger arbeiten würde und die Prozessionen kenne. Ich finde das nicht angemessen. Lassen Sie mich erst einmal schauen und dann kann ich mir eine Meinung bilden.
Es gibt in Olpe (bzw. aus dem Olper Raum) seit 1760 die Wallfahrt nach Werl, seit 1985 auch wieder als Fußwallfahrt. Könnten Sie sich vorstellen, auch einmal an einer solchen Fußwallfahrt teilzunehmen (evtl. auch nur tageweise)?
Also, vorstellen kann ich mir Vieles. Ich muss sehen, inwieweit das für mich machbar ist. Ich bitte darum, darüber nachzudenken, dass auch Drolshagen ein ausgeprägtes Prozessionswesen hat und es dort ebenfalls die Erwartung, dass ich überall dabei bin, gibt. Ich bin mal gespannt, ob ich das einhalten werde. Ich war jetzt schon beim Sendschotter Rundgang. Das war auch gut. Beziehungsweise ich war nur beim Gottesdienst, bin nicht mitgegangen. Vorstellen kann ich mir Vieles, ich muss nur zusehen, wie sich das zeitlich alles vereinbaren lässt. Dass Wallfahren Sinn macht und ja, auch ein schönes Spiegelbild unseres Lebens ist, muss ich nicht erklären. Unser ganzes Leben ist eine Wallfahrt, eine Pilgerreise. Und dass ich so etwas auch gerne mache. Ich habe in meinen früheren Gemeinden ab und an eine Reise nach Santiago de Compostela angeboten. Oder nach Israel. Oder nach Rom. Das sind die klassischen Wallfahrtsorte schon der frühen Kirche gewesen. Ohne Frage. Aber, was das Konkrete angeht, vorstellen kann ich mir das. Ich muss aber schauen, ob es funktioniert.
Es gibt jedes Jahr auch Menschen, die mit dem Fahrrad nach Werl fahren. Das wäre doch mal was, wo Sie doch so gerne Radfahren?
Genau. Ich habe Ambitionen, was das Fahrradfahren angeht. Aber auch das Gehen verabscheue ich keinesfalls. Fast jeden Abend mach ich vor dem Zu-Bett-Gehen noch einen Rundgang, egal wie spät oder früh es ist. Dann gehe ich im übertragenen Sinne nochmal den ganzen Tag durch. Dann mache ich eine Runde. Egal ob es hell oder dunkel, trocken oder regnerisch ist. Ich bin jemand, der sich gerne bewegt. Nicht nur mit dem Rad.
In Welschen-Ennest wurden vor einigen Wochen 17 Fahnen von Heiligen geweiht, die nun regelmäßig am Gedenktag für die Heiligen den Vorplatz der Kirche schmücken sollen. Könnten Sie so etwas auch in Olpe vorstellen? Heilige/Selige hätten wir ja genug.
Vorstellen kann ich mir Vieles, aber nichts ohne Rücksprache mit denen, die mit mir zusammen Verantwortung tragen.
Damit Sie es richtig verstehen, ich habe einen Sensus für Heilige, ja, vor kurzem eine anrührende Situation erlebt: Ich hatte ein Problem, eine Frage. Ich dachte, Mensch setz‘ Dich mal kurzweilig in die Kirche. Dann habe ich mich hier in St. Martinus bei Maria Theresia Bonzel vor das Allerheiligste begeben. Mein Anliegen löste sich schneller als gedacht. Das habe ich dann kurze Zeit später einer der Olper Franziskanerinnen erzählt. Ich sagte: „Mensch, das ist ja interessant…“ Da meinte sie humorvoll: „Ja, da können Sie öfters hingehen. Maria Theresia ist sehr rege.“
Vielleicht wisse Sie schon, dass ich in einer geistlichen Gemeinschaft angehöre. Es geht dabei um dabei um einen der jüngeren Heiligen unserer Kirche, der jetzt noch selige Charles de Foucauld, der bald heiliggesprochen wird. Das ist die Gemeinschaft Charles de Foucaulds (1858 – 1873), speziell eine Priester-Gruppe, der ich mich verbunden weiß. Es gibt unterschiedliche Gruppierungen dieser Gemeinschaft. Es gibt Familiengruppen weltweit. Es gibt auch kleinere Ordensgemeinschaften, die Schwestern vom Bruder Karl in Dortmund zum Beispiel. Also nur, dass sie wissen, einen Bezug habe ich zu den Heiligen, dass da keine Missverständnisse aufkommen.
Warum sind sie gerade in der Charles de Foucauld-Gruppierung? Hat das Ihre Biographie so ergeben?
Ja, das kann man so sagen. Ich habe ein, zwei Priester kennengelernt, die der Gruppierung angehörten und mich zu Studienzeiten dann dieser angeschlossen. Mir war es wichtig, mich zumindest einmal im Monat mit Gleichgesinnten zu treffen. Wir sind insgesamt acht Mitbrüder in unserer Gruppe. Wir treffen uns meistens montags vormittags zum Frühstück und tauschen uns danach über einen Bibeltext aus. Es folgt das Mittagessen. Wenn jemand ein persönliches Anliegen in die Gruppe einbringt, sprechen wir darüber. Ein weiterer wichtiger Aspekt der Spiritualität Charles de Foucaulds ist die eucharistische Anbetung, so wie sie Maria Theresia ebenfalls gepflegt hat. Und noch etwas muss man von Charles de Foucauld wissen: Charles de Foucauld hat in den letzten Jahren seines Lebens in Algerien gelebt, in einer Einsiedelei, in der Erwartung, dass Menschen sich zum christlichen Glauben bekehren, was diese aber nicht taten. Er hatte einen sehr guten Kontakt zu den dort lebenden Touaregs gepflegt, die ja nun alle nichts mit dem christlichen Glauben zu tun haben. Er hat die Touareg-Sprache erlernt und auch ein Wörterbuch erstellt. Foucaulds besaß die Gabe, allein durch seine Anwesenheit, ohne viel zu reden, ohne große Worte, einfach mitten in der Welt den christlichen Glauben zu praktizieren und zu bekennen. Deshalb heißt auch die Zeitschrift der geistlichen Familie Charles de Foucaulds, „Mitten in der Welt“. Ich kann gerne mal einen kleinen Vortrag dazu halten.
“Da habe ich erst so gedacht: Jetzt wollen sie mich auf die Schippe nehmen.”
Unsere letzte Frage: Wenn wir im nächsten Jahr (hoffentlich) wieder Schützenfest feiern können, sind sie ja unser „Schützenvikar“. Wie fühlt sich ein „Attendorner“ als „Olper Schützenvikar“?
Mmhh, da werden aber wieder Klischees bedient … . Erstens bin ich es noch nicht. Pfarrer Steiling ist es noch. Ich bin aber für das kommende Jahr schon gefragt worden und habe auch mein „ad sum“ gesprochen. Da meinte der Schützenmajor Herr Peter Liese: „Was heißt das, ad sum?“ Ich sagte: „Das ist das, was wir bei der Priesterweihe und der Diakonenweihe sagen.“ Zu Deutsch bedeutet das: „Ich bin bereit, den Dienst zu übernehmen.“
Andersherum, als es im vergangenen Jahr um die Frage ging, dass ich mich beruflich neu orientieren wollte und im Austausch mit der Personalabteilung in Paderborn stand, kam dann irgendwann der Gedanke, Olpe wäre doch was für mich. Da habe ich erst so gedacht: „Jetzt wollen sie mich auf die Schippe nehmen. Als Attendorner geht man doch nicht nach Olpe. Das ist nah an meiner Heimat.“ Ich hatte zwar gesagt, ich kann mir vorstellen, in der Nähe meiner Heimat zu leben und zu arbeiten. Aber so nah dran? Ich dachte: was ist das denn jetzt? Fand das etwas kurios. Und dann bin ich einmal, als ich in Attendorn zu Besuch war, heimlich mit dem Auto in Olpe herumgefahren. Dann war ich wieder auf dem Rückweg über die Sauerlandlinie Richtung Iserlohn und dachte so: „Ja, verkehrt ist das ja nicht (lacht)…“ Es ist eine wunderbare Landschaft hier, die ich als Kind und Jugendlicher schon immer genossen habe. Es ist Naherholungsgebiet für die Menschen, die aus dem Ruhrgebiet kommen oder für die vielen Holländer, die jedes Jahr hier sind. Aber auch für jemanden, der vor Ort lebt. Wir haben hier so wunderschöne Dörfer, so eine wunderbare Gegend. Also man kann ja wirklich viel machen. Und dann habe ich gesagt: „Ja doch, das kann ich mir vorstellen.“ Dass da noch Drolshagen hinzukam, wurde mir erst später mitgeteilt. Da bin ich zunächst etwas fassungslos gewesen und habe gefragt: „Ist das nicht ein bisschen reichlich und ein bisschen viel?“ „Naja“, bekam ich zur Antwort, „wir haben überlegt und wir müssen perspektivisch schauen, wie das alles in Olpe und Drolshagen in Zukunft weitergeht.“
Ja, ich bin ganz schön mutig, als Attendorner nach Olpe zu gehen, obwohl ich glaube, das sind diese Gemengelagen aus früherer Zeit. Das ist jetzt mehr eine Frotzelei und eine Muloppigkeit, die man so kennt, aber ich kann damit ganz gut leben und umgehen. Ich finde es auch amüsant. Der Menschenschlag ist nicht anders als in Attendorn. Das habe ich gleich vom ersten Tag an gemerkt und gedacht: „Ich bin wieder zu Hause angekommen.“
Ein schönes Schlusswort, Herr Pfarrer. Vielen Dank für das ausführliche und offene Interview!
* Die Fragen zu diesem Interview wurden zusammengestellt von den Mitgliedern der Koordinationsgruppe der GEDANKEN ZUM TAG, Daniela Burkhardt, Sr. Katharina Hartleib, Heinz Heider, Dr. Stefan Reißner, Nadja Stahl und Lukas Wrede.